Im Frühjahr 2022 erschien mein Buch Atomare Demokratie. Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland im Franz Steiner Verlag. Eine solche Synthese ist immer auch eine Chance, über Forschungslücken nachzudenken. Die deutsche Atomgeschichte ist recht gut erforscht (nur deshalb konnte ich das Buch während der Pandemie in England schreiben), aber es gibt ein paar eklatante Lücken. Wir wissen nicht viel über die Hersteller von Atomkraftwerken, und der Blick auf die großen Proteste von Wyhl über Gorleben bis Wackersdorf hat den Blick dafür verstellt, dass viele Reaktoren in der Provinz ziemlich geräuschlos Strom produzierten. Auch die Sicherheitskultur der Atomindustrie harrt noch einer gründlichen Analyse, vor allem dann, wenn man sie als ein Gemeinschaftsprodukt begreift. Es spricht viel dafür, dass die kritische Gegenexpertise der Anti-Atomkraft-Bewegung einen heilsamen Druck auf den nuklearen Komplex ausgeübt hat.
Es geht in der Geschichte der Atomkraft nicht bloß um eine risikoträchtige Großtechnik. Der Streit um die Atomkraft war auch ein Spiegel der bundesdeutschen Demokratie und ein mächtiger Antrieb für deren Fortentwicklung. Das bundesdeutsche Demonstrationsrecht ist sogar ein direktes Produkt der nuklearen Kontroverse: Die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist bis heute der Brokdorf-Beschluss von 1985, der auf eine Großdemonstration 1981 zurückging. Im Atomkonflikt lässt sich studieren, wie sich eine Demokratie durch soziales Handeln und Gespräche ständig neu konstituiert.
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