Mein erster wissenschaftlicher Aufsatz erschien 1998. Seither ist einiges zusammengekommen, und manche Veröffentlichung liest sich heute etwas anders. Im Folgenden stelle ich Bücher und Aufsätze vor, die einen Querschnitt meiner wissenschaftlichen Arbeit darstellen: von der dickleibigen Synthese bis zum kurzen Essay für ein breites Publikum. Die einführenden Kommentare sollen Lust aufs Lesen machen – aber auch verdeutlichen, wie sehr sich Technik- und Umweltgeschichte im vergangenen Vierteljahrhundert verändert haben.
Umweltgeschichte etablierte sich in Deutschland zu guten Teilen aus der Beschäftigung mit Verschmutzungsproblemen. Deshalb schrieb ich meine Doktorarbeit über den Umgang mit Luftverschmutzung in Deutschland und den Vereinigten Staaten zwischen 1880 und 1970, nicht ohne einen gewissen revisionistischen Impetus gegenüber Fachkollegen, die die Denkschablonen der zeitgenössischen Umweltdebatte allzu sorglos in die Vergangenheit zurückprojiziert hatten. Das Ergebnis ist eine Untersuchung über das langsame Entstehen regulativer Politik im Wechselspiel der verschiedenen Akteure. Da geht es um Interessen und Einstellungen, aber auch darum, ob man einander wirklich zuhört – keine Stärke der deutschen Verwaltung, wie sich hier zeigt. Die größere Offenheit zur Zivilgesellschaft erwies sich in den USA zunächst als Trumpf, aber das relativierte sich in der Nachkriegszeit, als bundesdeutsche Experten und Verwaltungsinsider seit den fünfziger Jahren die Grundlagen der späteren Umweltpolitik legten – während die amerikanische Luftreinhaltung immer mehr in die Krise rutschte und um 1970 spektakulär scheiterte.
Die Arbeit wurde 2002 mit dem Dissertationspreis der Westfälisch-Lippischen Universitätsgesellschaft ausgezeichnet.
Zitation: Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880-1970 (Essen: Klartext, 2003).
Ein paar Jahre später bekam ich die Möglichkeit, eine englische Fassung meiner Dissertation zu veröffentlichen. Sie ist konziser, berücksichtigt die zwischenzeitlich erschienene Literatur und diskutiert auch die Veränderung des umweltpolitischen Klimas in den USA. Als ich in den neunziger Jahren forschte und schrieb, konnte man mit guten Gründen der Auffassung sein, dass in der amerikanischen Umweltpolitik nach einigen Exzessen in ökologischer und anti-ökologischer Richtung die Zeichen auf Common Sense standen: Umweltpolitik als Deal zwischen verschiedenen Interessen, bei der man mit Sachlichkeit und Kompromissbereitschaft am besten fährt. Dann kam George W. Bush, und Umweltpolitik wurde wieder eine Sache politischer Glaubensbekenntnisse. Meine Dissertation ist auch eine Studie über das enorme Trägheitsmoment regulativer Politik und die Frage, inwiefern sich Verhaltensroutinen unter dem Eindruck neuer Herausforderungen verändern können. Das ist aus heutiger Sicht vielleicht der wichtigste Aspekt der Arbeit.
Zitation: The Age of Smoke. Environmental Policy in Germany and the United States, 1880-1970 (Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2009).
Wie sieht eigentlich die deutsche Agrargeschichte aus, wenn man das Wissen der Produzenten in den Mittelpunkt stellt? Eine Habilitationsschrift ist auch eine Lizenz, ein Forschungsfeld von einem neuen Blickwinkel zu durchdenken, und das habe ich für einen Parforceritt durch zwei Jahrhunderte agrarischen Wissens genutzt. Die Landwirtschaft verfügte über eines der größten Expertensysteme überhaupt, aber die riesige Zahl von Forschern und Beratern lief nicht zwangsläufig auf eine Vielfalt von Möglichkeiten hinaus. Das Buch beschreibt, wie ein zunächst offenes und polyvalentes Wissenssystem einen zunehmend rigiden Korridor für die landwirtschaftlichen Praxis schuf, der sich nach 1945 dramatisch verengte und nach 1980 nur bedingt wieder etwas breiter wurde. Die Grenzen des Machbaren wurden in der deutschen Landwirtschaft auch durch Wissen definiert.
Das Buch erreichte drei Auflagen, erhielt den Forschungspreis des Deutschen Museums 2010 und ist laut Google Scholar meine Veröffentlichung mit den zweitmeisten Zitationen. (Das am häufigsten zitierte Buch ist – was haben Sie denn gedacht? – meine Umweltgeschichte der NS-Zeit.) Aus heutiger Sicht war es zudem ein Sprungbrett für mein aktuelles Projekt über die Globalgeschichte der Monokultur. Das Buch analysiert die deutsche Variante eines Weges, den Agrarsysteme weltweit durchliefen – mit weiterhin offenem Ende. Wissen ist Macht, aber Wissen macht auch manchmal Dinge, die ganz und gar ungeplant sind.
Zitation: Die Wahrheit ist auf dem Feld. Eine Wissensgeschichte der deutschen Landwirtschaft (Umwelt und Gesellschaft Bd. 1, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2010. 2. Aufl. 2011, 3. Aufl. 2012.)
Der Arbeitstitel dieses Buchs hieß „das grüne Musterland“, mit Fragezeichen dahinter. Der Verlag machte daraus eine „zwiespältige Erfolgsgeschichte“, und das war wohl auch gut so. Die nach Fukushima proklamierte „Energiewende“ war noch frisch, die Sklerose der späten Merkel-Jahre noch nicht absehbar, und außerdem basierte das Ganze auf einem Buch für den US-Markt, das 2014 bei MIT Press erschien. Es ist nicht leicht, mit Amerikanern über Probleme und Defizite der deutschen Umweltpolitik zu sprechen, weil die deutschen Sorgen sich dort vergleichsweise trivial ausnehmen. Das Buch präsentierte jedenfalls eine durchaus gemischte Bilanz, und dort, wo Deutschland im internationalen Vergleich gut aussah, ging es mir nicht um pflichtschuldigen Jubel, sondern um die Frage nach Ursachen und Folgen.
Eine Synthese ist immer ein Produkt ihrer Zeit. Sie ist auch eine Chance, den Stand der Forschung zu bilanzieren und auf der Basis von Fallstudien ein Gesamtbild zu entwerfen. Das geschah hier mit ein paar kräftigen und vielen kleinen Pinselstrichen, die wohlweißlich Platz für neue Erkenntnisse ließen. Ein Rezensent fand dafür die schöne Formulierung, ich hätte mich in diesem Buch „beinahe als ein Monet der Umweltgeschichtsschreibung” erwiesen. Wenn das so ist, markiert Im Strudel wohl meinen Übergang zum Pointillismus.
Zitation: Uekötter, Frank: Deutschland in Grün. Eine zwiespältige Erfolgsgeschichte, Göttingen 2015.
Kein anderes meiner Bücher wird so häufig zitiert. Dabei war die Studie durchaus ein Wagnis, weil es einen neuen Blick auf die NS-Geschichte des Naturschutzes wagte. Neben die gängige Frage, wer wie tief in den Nationalsozialismus verstrickt war, trat hier die Frage, wer eigentlich vom NS-Staat profitierte oder zu profitieren glaubte. Es zeigte sich, dass die Naturschutzbewegung seit dem Reichsnaturschutzgesetz von 1935 glaubte, dass Hitlers Regierung die eigenen Bedürfnisse wirklich verstand – ganz anders als die schwächliche Republik von Weimar. Die Folge waren ein paar Jahre fröhlich-erhitzter Arbeit, in der kaum ein Naturschützer darüber nachdachte, was es eigentlich heißt, in einer Diktatur Naturschutzarbeit zu betreiben. Der Boom hatte politisch und moralisch einen Preis, und das Buch zeigt, wie leicht Menschen auf einer abschüssigen Ebene ins Rutschen kamen. Es zeigt auch, dass die Arbeit letztlich auf Selbstbetrug beruhte. Es war bestürzend wenig, was der NS-Staat tun musste, um die Naturschützer für sich einzunehmen – aber das Ergebnis war ein Mythos, der noch lange nach 1945 weiterlebte.
Das Buch war der Abschluss eines Projekts, das mit dem Wunsch des damaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin begann, 2002 einen Fachkongress „Naturschutz und Nationalsozialismus“ zu organisieren. Daraus entstand ein umfänglicher Band mit Aufsätzen, der den damaligen Stand der Forschung bilanzierte, aber konzeptionell die damals gängige Auffassung über die Verbindung von Naturschutzbewegung und Nationalsozialismus widerspiegelte: Der entscheidende Kitt war die Ideologie. Das überzeugte jedoch nicht mehr so recht, wenn man die Aufsätze genau las, und als ich in den folgenden Jahren in den Archiven stöberte und die alltägliche Arbeit der Naturschützer rekonstruierte, merkte ich: Da war noch etwas anderes, das schwerer wog. Man konnte im NS-Staat auch gut arbeiten – und zwar auch dann, wenn man eigentlich gar kein Nazi war. So wurde dieses Buch auch eine Fallstudie über Umweltarbeit in autoritären Regimen.
Zitation: The Green and the Brown. A History of Conservation in Nazi Germany (New York: Cambridge University Press, 2006).
Die Zitation des erwähnten Aufsatzbandes ist: Joachim Radkau, Frank Uekötter (Hg.), Naturschutz und Nationalsozialismus (Frankfurt: Campus, 2003).
Der Urahn der deutschen Technikgeschichtsforschung, Conrad Matschoß, veröffentlichte 1925 ein dickes Buch über die Männer der Technik. Ein Jahrhundert später sind die Vorbehalte gegen Geschichten mächtiger Männer enorm. Aber vielleicht sollte die Antwort auf das „Männer machen Geschichte“ eher darin bestehen, besagten Männern auf die Finger zu schauen und vermeintliche Singularitäten durch Vergleiche zu nivellieren? Dieser Aufsatz verfolgt einen kollektivbiographischen Ansatz und analysiert im deutsch-amerikanischen Überblick Männer mit ingenieurtechnischer Ausbildung, die im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts auffällig häufig in politischen Spitzenpositionen auftauchten. Grundlage des Aufsatzes ist mein Habilitationsvortrag vom Januar 2009, den ich seinerzeit in Anwesenheit von Peter Lundgreen hielt. Lundgreen hat bahnbrechende Veröffentlichungen zur Geschichte der Ingenieure in Deutschland verfasst und war in meiner Bielefelder Zeit einer meiner Mentoren. Er starb 2015. Der Aufsatz ist ihm posthum gewidmet.
Zitation: Techniker an der Macht: Der Ingenieur-Politiker im 20. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 306 (2018), S. 396-423.
Wie schreibt man eine Umweltgeschichte der modernen Welt in einer Zeit, in der alle gängigen Parameter vom Nationalstaat bis zur Definition von Umweltproblemen unscharf geworden sind? Indem man genau dies zum Thema macht. Das Buch verfolgt die Genese ökologischer Herausforderungen und ihren Wandel im Laufe der modernen Geschichte, und meist steht am Ende ein durchaus spannungsreiches Gemisch aus Regeln, Topoi, Artefakten und ungelösten Konflikten. Ein Kompendium zum Verständnis der globalen Umweltdebatte – und eine neue Art von Synthese, die nicht ex cathedra ein System der intellektuellen Ordnung verkündet, sondern vielmehr ein Netz von Erfahrungen und wechselseitigen Bezügen aufspannt.
Das englische Original des Buches erschien im Frühjahr 2023 bei University of Pittsburgh Press.
Uekötter, Frank: The Vortex. An Environmental History of the Modern World (Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2023.) Kostenfreier Download hier.
Die deutsche Übersetzung erschien paradoxerweise zweieinhalb Jahre früher. Das lag an den Deadlines der britischen Forschungsevaluation (das Buch musste unbedingt vor Jahresende 2020 erscheinen) und daran, dass es in Deutschland wunderbare experimentierfreudige Verlage gibt, die auch mal die Veröffentlichung eines richtig dicken Buches riskieren, wenn sie davon überzeugt sind. Ja, das haben Sie verdient, lieber Campus Verlag!
Uekötter, Frank: Im Strudel. Eine Umweltgeschichte der modernen Welt, Frankfurt 2020.
Die Bundesrepublik baut eine Wasserstraße von der Elbe zum Mittellandkanal. Das klingt nach einem richtig langweiligen Buch, aber der Elbe-Seitenkanal dient hier als Testfall für das politische System der alten Bundesrepublik. Was passiert, wenn man in das Räderwerk der bundesdeutschen Verhandlungsdemokratie ein Projekt einspeist, das offenkundig unsinnig ist? Von 1950 bis 1965 wurde über den Kanal verhandelt, und dabei fehlte es nicht an Warnungen, dass sich die Investition nicht lohnen würde. Gebaut wurde trotzdem, und der Kanal entpuppte sich dann auch als Fiasko mit Ansage. Im Zentrum des Buchs steht die Frage nach den Ursachen, und die Suche nach Antworten erlaubt tiefe Einblicke ins Innenleben der bundesdeutschen Politik. Föderalismus, Deutschlandpolitik, Staatswirtschaft, Planungseuphorie, Lobbyismus, Pressearbeit, Koalitionsverhandlungen – wenn Sie wissen sollen, was all dies im politischen Alltag der alten Bundesrepublik bedeutete, dann lesen Sie dieses Buch.
Das Buch zeigt, wie Technik- und Umweltgeschichte einen Beitrag leisten können zu Kernthemen der Geschichtswissenschaft. Es ist ein Beitrag zur Demokratiegeschichte, der nachzeichnet, wie ein stocknüchternes Regierungssystem unter voller Beachtung der geltenden Regeln auf einen fulminanten Crash hinsteuern konnte. Das Buch lebt aber auch vom Glück des Historikers, der im Archiv stöbert und unverhofft auf eine schier unglaubliche Geschichte stößt. Manche Volten wirken, als sei da einem Romanautor die Fantasie durchgegangen. Da gibt es einen Hamburger Senator namens Karl Schiller, der zwei Jahrzehnte später als Bundesfinanzminister die Kostenexplosion des von ihm angeschobenen Projekts absegnet. Ein Wissenschaftler erklärt in kleiner Runde, der von ihm geleitete Beirat werde das Projekt abschießen, und verspricht dann in einem Gefälligkeitsgutachten zehn Millionen Tonnen Fracht pro Jahr (was dann nach 38 Betriebsjahren auch erreicht wurde). Ein mächtiger Bundesverkehrsminister bezeichnet das Projekt öffentlich als „Blödsinn“ und winkt es dann trotzdem durch. Und als der Kanal endlich fertig ist, bricht die Abdichtung an einer Unterführung, und das Wasser aus 40 Kilometern Kanal fließt ungebremst in die Landschaft rund um Lüneburg – fünf Wochen nach der feierlichen Eröffnung. Nach der Katastrophe wurde Übrigens niemand zur Verantwortung gezogen. Die Bundesrepublik bezahlte den Schaden, reparierte den Kanal, verzichtete auf zusätzliche Sperrtore für den Notfall, und kritische Fragen gab es noch nicht einmal intern. Das Buch ist auch eine Studie über organisierte Unverantwortlichkeit.
Zitation: Der deutsche Kanal. Eine Mythologie der alten Bundesrepublik (Stuttgart: Franz Steiner, 2020).
Bis Anfang 2022 sah es so aus, als ob die letzten deutschen Atomkraftwerke in aller Stille vom Netz gehen würden. Dann kam die russische Invasion der Ukraine, und bundesdeutsche Politiker diskutierten wieder kontrovers über Atomenergie. Diese hitzige Debatte kommt in meinem Buch, das im Frühjahr 2022 erschien, naturgemäß nicht vor, aber dafür zeigt es, wie oberflächlich der Streit der Parteisoldaten war. Atomenergie ist weitaus mehr als eine schlichte Frage von Pro oder Contra.
Das Buch erzählt diese Geschichte von den Anfängen in der frühen Bundesrepublik bis heute. Dabei geht es um zwei eng miteinander verflochtene Entwicklungen: um Aufstieg und Wandel der nuklearen Technologie und die Veränderung der bundesdeutschen Demokratie. Die nukleare Kontroverse drehte sich um die Macht von Großkonzernen, um Vertrauen in Wissenschaft und Technik, um die Frage, wie Entscheidungen über Infrastrukturen getroffen werden, um Grenzen des legitimen Protests, um Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt um die billige Energie, die seit dem Wirtschaftswunder als Lebenselixier der bundesdeutschen Demokratie gelten kann. Entgegen einem populären Mythos ist die Atomkraft in Deutschland nicht nur am zivilgesellschaftlichen Protest gescheitert. Entscheidend war, dass die Realität der nuklearen Stromerzeugung weit hinter den Hoffnungen zurückblieb. Schon um 1980 wusste jeder informierte Beobachter, dass Atomkraft teurer, gefährlicher und komplizierter war als gedacht, und trotzdem dauerte es noch mehr als 40 Jahre bis zum endgültigen Ausstieg. Das Buch dokumentiert auch, welche Herausforderung das Trägheitsmoment großtechnischer Systeme für die Seele einer Demokratie ist.
Zitation: Atomare Demokratie. Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland (Stuttgart: Franz Steiner, 2022).
Antwort des historischen Experten: Viel weniger, als Sie vermuten. Bei Medienleuten und allerlei Beobachtern war das Horrorszenario stets beliebter als bei Umweltgruppen und einschlägigen Politikern. Das war das Ergebnis eines Aufsatzbandes, den ich 2004 unter dem Titel „Wird Kassandra heiser?“ herausgab. Fachwissenschaftliche Befunde haben es freilich nicht leicht, wenn es um das kollektive Gedächtnis geht, und deshalb lag der Akzent etwas anders, als ich die besten Beiträge des Bands zum Grund einer Neuausgabe in englischer Sprache machte: Was bedeutet es eigentlich, dass wir in der Umweltdebatte vom apokalyptischen Denken nicht loskommen, obwohl sein Stachel offenkundig stumpf geworden ist? Ergänzt wurde die Sammlung durch drei Beiträge zu Themen des Globalen Südens, die deutlich machen, wie sehr die Öko-Apokalyptik eine eurozentrische Obsession ist.
Zitationen: Frank Uekötter (Hg.), Exploring Apocalyptica. Coming to Terms with Environmental Alarmism (Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2018, und Frank Uekötter, Jens Hohensee (Hg.), Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme (Stuttgart: Franz Steiner, 2004).
Von den Workshops, die ich am Rachel Carson Center organisierte, war dieser aus heutiger Sicht der ertragreichste. Experten aus aller Welt präsentierten Beiträge zu einer Umweltgeschichte der Plantage, und die zahlreichen Facetten, die dabei zum Vorschein kamen, wurden wiederum von einem globalen Zuhörerkreis diskutiert. Es zeigte sich: Es gibt durchaus so etwas wie die „global plantation“: nicht als Ideal- oder gar Prototyp, sondern als analytisches Konzept, mit dem man die in zahllose Einzelfallstudien zersplitterte Forschung zusammenführen konnte. Ähnlich argumentiert heute mein Monokultur-Projekt: Es gibt ziemlich viele verschiedene Monokulturen auf unserem Planeten – aber die sind auch Teil eines globalen Projekts namens Monokultur.
Zitation: Frank Uekötter (Hg.), Comparing Apples, Oranges, and Cotton. Environmental Perspectives on the Global Plantation (Frankfurt: Campus, 2014).
Wenn aktuelle Themen mit einer gewissen historischen Tiefenschärfe diskutiert werden sollten, fragte mich die Redaktion von Aus Politik und Zeitgeschichte gelegentlich nach einem kurzen Überblicks-Essay. Daraus entstand eine Serie von Aufsätzen über ein buntes Spektrum von Themen: die Klimadebatte, das Artensterben, die Landwirtschaft in Deutschland, die deutsche und die internationale Atomgeschichte und das Wiesel-Wort der Umweltdebatte schlechthin – die Nachhaltigkeit. Es sind schwungvoll geschriebene Miniaturen, die auch LeserInnen jenseits der akademischen Blase ansprechen sollen. Vielleicht bekommt der eine oder andere ja beim Lesen Lust auf mehr:
Wenn in den vergangenen Jahren von Klimamigration die Rede war, kam mit einiger Wahrscheinlichkeit das Beispiel Dust Bowl. Die Staubstürme im Amerika der 1930er Jahre sind ein globaler Mythos, und das ist nur das jüngste Kapitel einer fortlaufenden kulturellen Überformung, die hier mit den Methoden der historischen Erinnerungsforschung seziert wird. Man kann reflektierter über den Klimawandel und über Klimamigration reden, wenn man die reale Geschichte der Dust Bowl und ihre multiple Neuerzählung kennt. Und vielleicht kann man dann auch eine bessere Klimapolitik machen.
Zitation: The Meaning of Moving Sand. Towards a Dust Bowl Mythology, in: Global Environment 8 (2015), S. 349-379. Download
Ich konnte diese Diskussion fortsetzen, als ich ein paar Jahre später von der Zeitschrift Great Plains Quarterly eingeladen wurde, eine Sammelrezension zu schreiben. Es ist eine Einladung, auf die ich ehrlich gesagt ein wenig stolz bin. Die Redaktion von Great Plains Quarterly sitzt an der University of Nebraska-Lincoln, und es ist nicht selbstverständlich, dass sich Menschen im amerikanischen Heartland für die Meinung eines Deutschen zu einem uramerikanischen Thema interessieren. So ist dieser Aufsatz auch ein kleiner Beitrag zur transatlantischen Verständigung.
Zitation: In Search of a Dust Bowl Narrative for the Twenty-First Century, in: Great Plains Quarterly 40 (2020), S. 161-168. Download
Als Technik- und Umwelthistoriker habe ich vergleichsweise wenig zum Klimawandel veröffentlicht. Das lag wohl auch daran, dass sich hier auch ohne mein Zutun die ForscherInnen tummelten. Aber vielleicht sähe das anders aus, wenn ich die Ansätze in diesem kaum zitierten Aufsatz weiterverfolgt hätte. Quellennah verfolgt er die Bemühungen der Landwirte und ihres Wissenssystems um verlässliche Prognosen und Maßnahmen im Umgang mit dem wechselhaften mitteleuropäischen Wetter. Der Aufsatz liefert eine historische Tiefendimension zu dem, was heute Adaptionsforschung heißt, und vielleicht wäre er mehr als eine Eintagsfliege geworden, wenn nicht in dieser Zeit das Rachel Carson Center bewilligt worden wäre, mit dem ich gerade in den ersten Jahren alle Hände voll zu tun hatte. Dann kamen zehn Jahre Birmingham und jetzt Bochum. Ein immer noch lesenswerter Aufsatz – and the road not taken.
Zitation: Klima als Wille und Vorstellung. Perspektiven einer Klimageschichte der Landwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Jg. 58 Heft 1 (2010), S. 70-89. Download
Man wird es einfach nicht los, das Thema der eigenen Dissertation. Aber kann man sich einen Band über Erinnerungsorte des Ruhrgebiets vorstellen ohne einen Aufsatz, der die lange Zeit ziemlich dreckige und dann plötzlich sauberer Luft diskutiert? Der Essay schlägt den Bogen von allerlei Rauch und Staub über Willy Brandts „blauen Himmel“ zur Mythologisierung des Rauches im Strukturwandel, exemplarisch diskutiert anhand der Schlussszene von Schimanskis letztem Tatort. Sag mir, was Du über den Rauch und das Revier denkst, und ich sage Dir, wer Du bist.
Zitation: Der Umbruch vom alten zum neuen Revier. Erinnerungsort Rauch, in: Stefan Berger u.a. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019, S. 162-172.
Dieser Artikel erschien in einem Aufsatzband, der „Kuriosa der Wirtschafts- und Technikgeschichte“ versammelte. Anekdoten können aber nicht nur unterhalten, sondern auch aufklären – dann nämlich, wenn sie im Stile der Mikrogeschichte die Welt im Kleinen verständlich machen. Diese kurze Geschichte der Gülle ist auch die Ultrakurz-Version meiner Habilitationsschrift, denn sie vereint wie in einem Brennglas ein paar zentrale Themen der Agrargeschichte: Wissen und Unwissen, technische Systeme, die ein Eigenleben entwickeln und Stoffströme, die Menschen und Ökosysteme überwältigen. Nicht zuletzt zeigt der Aufsatz den Wert des nüchternen Blicks auf die Zusammenhänge. Zu Landwirtschaft hat jeder eine Meinung und zu Gülle erst recht, aber das ist erst der Anfang einer ernsthaften Analyse.
Zitation: Das flüssige Gold der Landwirtschaft, in: Christian Kleinschmidt (Hg.), Kuriosa der Wirtschafts-, Technik- und Technikgeschichte. Miniaturen einer „fröhlichen Wissenschaft“, Essen 2008, S. 77-81. Download
Seit 2017 schrieb ich vier Jahre lang als Fokus Online-Experte über umweltpolitische Themen aller Art. Diese Kolumnen waren die Grundlage für ein kleines Buch, das dann 2021 im Münchener Oekom-Verlag erschien. Es ging um den Kohleausstieg und Greta, um Trump und Merkel, um den Walfang in Japan und den Regenwald am Amazonas (und warum er zu viel Aufmerksamkeit bekommt). Konzise und ohne akademischen Jargon diskutiert der Band die ökologischen Themen einer Zeit, in der es immer weniger auf flammende Überzeugungen ankommt – und immer mehr darauf, die Zusammenhänge zu verstehen.
Zitation: Einfach war gestern. Über Umweltpolitik in unruhigen Zeiten (München: oekom, 2021).
Als ich im Sommer 2023 wieder nach Deutschland kam, veröffentlichte das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung Diskussionsbeiträge zur Zukunft der Geschichtswissenschaft. Da äußerten vor allem Nachwuchswissenschaftler ihren Unmut, während die Professoren sich bedeckt hielten – vor allem mit Blick auf ihre eigene Rolle. Dabei dachte ich gerade intensiv über ebendiese Rolle nach. Niemand sollte ein deutscher Professor werden, ohne über die damit verbundene Macht zu erschrecken. Aber Macht verschwindet nicht, wenn man sie verleugnet, und vielleicht kann man die Mittel einer Professur ja auch nutzen, das Fach und seine Strukturen ein wenig in Bewegung zu bringen? Der Beitrag wurde dann schon eine Art Regierungserklärung, in der ich Stellung bezog: zu meiner geplanten Rolle, dem Zustand der Geschichtswissenschaft in Deutschland und seiner Zukunft. Selten habe ich für einen Beitrag so lebhafte Reaktionen von KollegInnen erhalten.
Alle, die an meinem Lehrstuhl arbeiten, haben das Recht, mich bei passender Gelegenheit an diese Veröffentlichung zu erinnern.
Zitation: Geschichtswissenschaft in unsicheren Zeiten, in: Utopia. Die Zukünfte der Geschichtswissenschaft. Visionen und Positionen auf dem L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, verfügbar unter https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/visiongeschichte_uekoetter (online seit 27. Juli 2023).
In meiner Habilitationsschrift stand der Boden als Fallbeispiel im Mittelpunkt, weil sich daran die Eigenheiten des agrarischen Wissenssystems besonders gut studieren ließen. Danach überlegte ich einige Zeit, ob ich das zum Sprungbrett einer Weltgeschichte mache, aber dann entwickelten sich andere Projekte – allen voran das Rachel Carson Center. An diese einstigen Ideen erinnerte mich, als mich meine amerikanische Kollegin Jeannie Whayne fragte, ob ich am Oxford-Handbuch für Agrargeschichte mitschreiben wollte. Das Ergebnis ist eine konzise Weltgeschichte, die anhand des Bodens die ganzen Widersprüche des Projekts Landwirtschaft in der globalen Moderne aufzeigt: Wissen und Unwissen, Besitzansprüche und ihre Anfechtungen, politische und ökonomische Macht und nicht zuletzt die Verbindung von Resilienz und ökologischer Fragilität. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung steht Boden als Umweltmedium weit hinter Luft und Wasser zurück, aber das gewiss nicht aus Mangel an Bedeutung. So kann man diesen Beitrag auch als Aufklärung über das lesen, was Sie da ständig mit Füßen treten.
Zitation: Making Sense of Land, in: Jeannie Whayne (Hg.), Oxford Handbook of Agricultural History, New York 2024, S. 25-40. In print.