NACH OBEN

Aus traurigem Anlass: Gaza, die Landwirtschaft und ich

12.10.2023

Bild Ueko _tter

Man wird schnell sprachlos im Angesicht des Terrors. Dies ist mein Versuch, Worte zu finden.

“Raketen auf Sderot.” So eine Schlagzeile liest man nicht gerne in der “Jerusalem Post”, und ganz bestimmt nicht, wenn man gerade in einem Flugzeug von Turkish Airlines auf dem Flughafen Ben Gurion sitzt. Es war Dezember 2008, und Smartphones waren auch im handybegeisterten Israel noch selten. So war es eine gedruckte Tageszeitung, die mir eine erste Ahnung gab, dass meine Reise nach Israel nicht nur aufgrund ihres wissenschaftlichen Ertrags in Erinnerung bleiben würde. Ich hatte eine Konferenz am Jacob Blaustein Institut für Wüstenforschung besucht, weil ich mich für Landwirtschaft in ariden Regionen interessierte. Das Blaustein Institut liegt im Negev, und zu der Veranstaltung gehörte eine Exkursion.

Es war später Nachmittag, als wir auf den Hof eines Kibbuz einbogen. Unsere israelischen Gastgeber hatten uns ein straffes Programm verordnet, und so purzelten wir schon ein wenig erschöpft aus unserem Bus. Ein grinsender Kibbuznik fragte, ob wir wüssten, wo wir uns gerade aufhielten. Wie die meisten Teilnehmer hatte ich längst jede Orientierung verloren, und so gab der Kibbuznik die Antwort gleich selbst: „Sie sind vier Meilen von Gaza entfernt.“ Ich stand übrigens in diesem Moment neben einer Tankstelle. Dann ging es zu einem künstlich bewässerten Feld mit Möhren, am Horizont wie eine graue Wand die Hochhäuser von Gaza. Später hörte ich im Bus, wie jemand hinter mir sagte: „I think we are in rifle range now.“ Israelis wissen halt mehr über Gewehre und Scharfschützen als deutsche Umwelthistoriker. Und Israelis haben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Letzteres ist meist ganz wunderbar, aber in dieser Situation vielleicht gerade nicht.

Unsere Exkursion verlief ohne Zwischenfall, und die Bio-Möhre frisch vom Feld schmeckte prima. Auch der Flieger von Turkish Airlines startete wie gewohnt, und beim Zwischenstopp in Istanbul kämpfte ich schon wieder mit den ganz normalen Zumutungen der Passagierluftfahrt. Aber wenige Tage später begann das israelische Militär mit der Operation Gegossenes Blei. Zu den Soldaten gehörte auch der Vater der Familie, bei der ich den Abend vor dem Abflug verbracht hatte.

Soll man in diesen Tagen solche Geschichten erzählen? Ich weiß nicht, ob der Kibbuznik noch lebt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er derzeit nicht an sein Grinsen erinnert werden will. Aber wenn das Grauen über unsere Bildschirme flimmert, dann braucht es vielleicht Erzählungen, die uns deutlich machen, dass jene, die wir gerade als Opfer oder Soldaten visualisiert bekommen, noch etwas anderes sind. Zum Beispiel Menschen, die mit viel Geschick Landwirtschaft in einer ariden Region betreiben.

Ich habe eine Menge gelernt auf der Konferenz des Blaustein Instituts. Und ich fahre auch wieder nach Israel, wenn es die Umstände erlauben, auch wenn ich bestimmt wieder in Situationen komme, in denen die Worte fehlen. Eine ehemalige Soldatin schilderte mir ihre gemischten Gefühle, als sie im Militärdienst nach Gaza kam. Sie leistete ihre Wehrpflicht zu einer Zeit, als es in Gaza noch jüdische Siedlungen gab, die das israelische Militär bewachte. Sie hatte Mitleid mit den Palästinensern, die dort lebten wie in einem gigantischen Gefängnis. Und ihr fiel nichts ein, was sie hätte tun können.

Wir werden in den nächsten Wochen eine Menge Menschen sehen, die Vergleiche ziehen. Aber ob wir jemals einen Hamas-Mann sehen werden, der so etwas sagt?

Bild Ueko _tter

Man wird schnell sprachlos im Angesicht des Terrors. Dies ist mein Versuch, Worte zu finden.

“Raketen auf Sderot.” So eine Schlagzeile liest man nicht gerne in der “Jerusalem Post”, und ganz bestimmt nicht, wenn man gerade in einem Flugzeug von Turkish Airlines auf dem Flughafen Ben Gurion sitzt. Es war Dezember 2008, und Smartphones waren auch im handybegeisterten Israel noch selten. So war es eine gedruckte Tageszeitung, die mir eine erste Ahnung gab, dass meine Reise nach Israel nicht nur aufgrund ihres wissenschaftlichen Ertrags in Erinnerung bleiben würde. Ich hatte eine Konferenz am Jacob Blaustein Institut für Wüstenforschung besucht, weil ich mich für Landwirtschaft in ariden Regionen interessierte. Das Blaustein Institut liegt im Negev, und zu der Veranstaltung gehörte eine Exkursion.

Es war später Nachmittag, als wir auf den Hof eines Kibbuz einbogen. Unsere israelischen Gastgeber hatten uns ein straffes Programm verordnet, und so purzelten wir schon ein wenig erschöpft aus unserem Bus. Ein grinsender Kibbuznik fragte, ob wir wüssten, wo wir uns gerade aufhielten. Wie die meisten Teilnehmer hatte ich längst jede Orientierung verloren, und so gab der Kibbuznik die Antwort gleich selbst: „Sie sind vier Meilen von Gaza entfernt.“ Ich stand übrigens in diesem Moment neben einer Tankstelle. Dann ging es zu einem künstlich bewässerten Feld mit Möhren, am Horizont wie eine graue Wand die Hochhäuser von Gaza. Später hörte ich im Bus, wie jemand hinter mir sagte: „I think we are in rifle range now.“ Israelis wissen halt mehr über Gewehre und Scharfschützen als deutsche Umwelthistoriker. Und Israelis haben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Letzteres ist meist ganz wunderbar, aber in dieser Situation vielleicht gerade nicht.

Unsere Exkursion verlief ohne Zwischenfall, und die Bio-Möhre frisch vom Feld schmeckte prima. Auch der Flieger von Turkish Airlines startete wie gewohnt, und beim Zwischenstopp in Istanbul kämpfte ich schon wieder mit den ganz normalen Zumutungen der Passagierluftfahrt. Aber wenige Tage später begann das israelische Militär mit der Operation Gegossenes Blei. Zu den Soldaten gehörte auch der Vater der Familie, bei der ich den Abend vor dem Abflug verbracht hatte.

Soll man in diesen Tagen solche Geschichten erzählen? Ich weiß nicht, ob der Kibbuznik noch lebt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er derzeit nicht an sein Grinsen erinnert werden will. Aber wenn das Grauen über unsere Bildschirme flimmert, dann braucht es vielleicht Erzählungen, die uns deutlich machen, dass jene, die wir gerade als Opfer oder Soldaten visualisiert bekommen, noch etwas anderes sind. Zum Beispiel Menschen, die mit viel Geschick Landwirtschaft in einer ariden Region betreiben.

Ich habe eine Menge gelernt auf der Konferenz des Blaustein Instituts. Und ich fahre auch wieder nach Israel, wenn es die Umstände erlauben, auch wenn ich bestimmt wieder in Situationen komme, in denen die Worte fehlen. Eine ehemalige Soldatin schilderte mir ihre gemischten Gefühle, als sie im Militärdienst nach Gaza kam. Sie leistete ihre Wehrpflicht zu einer Zeit, als es in Gaza noch jüdische Siedlungen gab, die das israelische Militär bewachte. Sie hatte Mitleid mit den Palästinensern, die dort lebten wie in einem gigantischen Gefängnis. Und ihr fiel nichts ein, was sie hätte tun können.

Wir werden in den nächsten Wochen eine Menge Menschen sehen, die Vergleiche ziehen. Aber ob wir jemals einen Hamas-Mann sehen werden, der so etwas sagt?